Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020)

Am Freitag den 07. Februar 2020 trafen sich 40 Personen im Gemeindehaus der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul Markkleeberg zu einem befreiungstheologischen Abend.

Der kleine Gemeindesaal war mit 40 Besucherinnen und Besuchern prall gefüllt. Im Publikum befanden sich neben Jugendlichen der katholischen Dekanatsjugend auch Mitglieder der Gemeinden Markkleeberg und Connewitz sowie Priester, Diakone und politische Verbündete ohne kirchlichen Bezug.

Teología de la liberación

Diakon Timo Niegsch (Pfarrei Leipzig-Süd) eröffnete den Abend mit einem historischen Abriss der Befreiungstheologie, indem er unterschiedliche Strömungen skizzierte und wichtige Vertreter, wie beispielsweise Oscar Romero, Ernesto Cardenal oder Camillo Torres, vorstellte. Respekt, Anerkennung und Begeisterung für die Menschen und ihre Überzeugungen waren im Publikum zu spüren. Anschließend wurde die Frage der „strukturellen Sünde“ aufgeworfen, welche den „sündhaften“ Mensch als Teil eines sündhaften Systems versteht. Der Kapitalismus zwingt hungernde Menschen zum Diebstahl, da weder der Hunger allein noch ein Gebet Brot auf den Teller bringt. Der christliche Auftrag besteht folglich darin, die Herrschaftsverhältnisse der Ungerechtigkeit zu zerschlagen. Die Befreiungstheologie bietet diesbezüglich unterschiedlichste Ansätze: Vom Aufbau von Basisgemeinden bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die Ausbeutungsstrukturen.

„Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ (Helmut Gollwitzer)

PriesterSein als kleiner Bruder vom Evangelium

Um die Bestrebungen einer Theologie der Befreiung praktisch und erfahrbar werden zu lassen, knüpfte Bruder Andreas Knapp an, der in einer katholischen Ordensgemeinschaft namens „Kleine Brüder vom Evangelium“ lebt. Die „Kleinen Brüder“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit den Ärmsten der Armen zu leben, wie sie zu arbeiten und die Botschaft des Evangeliums zu verkünden.

Die „Kleinen Brüder vom Evangelium“ sind eine kommunistische Gütergemeinschaft und verzichten folglich auf Privateigentum. Sie geben alles auf, um den Geringsten und somit Gott zu dienen.

„Ich wollte ein Nachfolger Jesu sein, doch ich wurde Beamter.“ (Br. Andreas Knapp)

Die vorherige Kirchenkarriere von Bruder Andreas fand ihren Zenit in der Stelle als Direktor eines Priesterseminars. Schließlich brach er jedoch mit allen Privilegien der bürgerlichen Kirche und entschloss sich „Jesus zu folgen“. Aus dem angesehenen Herrn Direktor wurde eine Pariser Putzfrau, später ein Bauchladen-Joghurtverkäufer in Bolivien. Heraus aus dem Klerus, hinein in das Leben der Ärmsten. Ein solcher Werdegang stößt in einer Kirche der Reichen jedoch auf Kritik, da es dem katholischen Klerus missfällt, wenn ein Priester mit der bürgerlichen Klasse bricht und wieder ein Teil der Arbeiterklasse wird.

Das Leben als „kleiner Bruder“ ist nicht nur Beruf und Berufung, sondern gleichzeitig eine Kritik am Priestertum. Die Priester unserer Kirche predigen der Arbeiterklasse von oben herab das Heil, obwohl sie weder Teil dieser Klasse, noch über die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter wissen, da sie sich selbst auf dem Beamtengehalt der Kirche ausruhen und realitätsblind von Messe zu Messe irren.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

Für Andreas Knapp erstreckt sich dieser Leitsatz auch auf Asylfragen und praktischen Umweltschutz, wodurch tiefe Verbindungen zu linken Kreisen und Klimaaktivistinnen und -aktivisten bestehen, die sich auch auf ihren christlichen Glauben berufen.

Basisgemeinden in Mittelamerika 

Oliver Cabrera sprach im Anschluss über die politische Situation in Nicaragua und die Rolle der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart. Seinen Vortrag hielt er stellvertretend für das Solidaritätsbündnis „SOSNicaragua Leipzig-Dresden“, dessen Anliegen darin besteht, die deutsche Zivilgesellschaft über die politischen Auseinandersetzungen und den staatlichen Terror gegen die Aufständigen in Nicaragua aufzuklären.

Der Kampf des nicaraguanischen Volkes für die Freiheit und gegen die staatliche Unterdrückung ist tief in der Geschichte seines Heimatlandes verwurzelt. Von der sandinistischen Revolution bis hin zur heutigen Diktatur unter Daniel Ortega wurden die Konflikte des Landes historisch eingeordnet und die Stellung der Kirche in diesen analysiert.

Cabrera zeichnete ein nahbares wie erschreckendes Bild der Zustände in Nicaragua und spannte gleichzeitig den Bogen zum Hauptthema des Abends. Obwohl Nicaragua zu den Geburtsstätten der Befreiungstheologie zählt, wuchs Oliver Cabrera zunächst ohne Kontakt zu der Vision einer Kirche der Armen auf. In seiner Heimat wurden über viele Jahre beispielsweise christliche Lieder für die Arbeiter und Bauern aus Kirche und Gesellschaft verbannt. Erst während der Arbeit in einer abgelegenen Gemeinde in Guatemala lernte der damals jugendliche Olli Cabrera die Theologie der Befreiung kennen. Cabrera präsentierte noch ein Video aus den 1970er Jahren, in dem Ernesto Cardenal mit bewaffneten Guerrilleros der FSLN (Frente Sandinista de Liberatión Nacional) im Dschungel das Abendmahl feiert. Für alle Anwesenden war es ein ungewohnter und doch kämpferischer Anblick.

SOSNicaragua servierte zum Ausklang des Abends ein Buffet mit traditionellen Gerichten aus Nicaragua, um die kulinarische Küche ihres Landes mit allen Anwesenden zu teilen. Nebenbei wurden Spenden für die Arbeit des Netzwerkes gesammelt.

Ausblick

Am Ende eines so ergreifenden und motivierenden Abends steht die Frage, wie es nun weitergeht. Weiter jeden Sonntag in die Kirche gehen? So wie gehabt? Für die Armen beten und vielleicht fünf Euro spenden? So wichtig das Gebet und die finanzielle Unterstützung von Hilfsprojekten auch sein mögen, wenn die Ursachen der Nöte nicht beseitigt werden, bleibt nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen eine Flutwelle sein, um die herrschenden Verhältnisse, aus denen Ausbeutung, Hunger, Existenzängste und Leid resultieren, umzuwerfen. Das Bekenntnis zum Christentum, darf keine moralische Selbstbefriedigung sein. Christ zu sein, bedeutet die Verpflichtung zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Die katholische Jugend Markkleeberg wird als Reaktion auf die Vorträge und Gespräche zur Theologie der Befreiung die Bahnhofsmission in Leipzig durch eine Kuchenspende unterstützen, um Bedürftigen zumindest eine kleine Freude im erstickenden Alltag zu schenken. Diese kleine Geste soll der Startschuss für weitere Aktionen (in Kooperation mit dem Kollektiv „Kein Paradies“) sein, die sich nicht zuerst auf die Spiritualität, sondern den Dienst am Menschen in Armut konzentrieren.

Dieser Abend war Teil der Vorbereitung des Protests gegen den EU-China-Gipfel im September 2020 in Leipzig. Die europäischen Christen dürfen ein solches Treffen der Reichen nicht unkommentiert lassen und müssen auf nationaler wie internationaler Ebene Widerstand gegen eine solche Veranstaltung organisieren.

„Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als der Überfluss vieler Gottloser. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen, aber der HERR erhält die Gerechten.“ (Psalm 37,16-17)

Für eine Kirche der Armen und eine gerechte Welt!

Nachruf zum BJT 2019 (14. September 2019)

 

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Verbündete,

Vom 13. bis 14. September fand der diesjährige Jugendtag des Bistums Dresden-Meißen im Kloster Wechselburg statt. Unter den Teilnehmenden befanden sich sieben Mitglieder der Gemeinden St. Bonifatius (Connewitz) und St. Peter & Paul (Markkleeberg), die als Aktionsgruppe „Kein Paradies“ in Erscheinung traten.

Das Motto „(Un-) sicher? – Einfach mal machen“, wurde sogleich mit der Parole:

„Frauenpriestertum – Einfach machen!“

beantwortet. Präsentiert wurde das thematische Feedback in Form eines selbstgemalten Transparentes, welches gut sichtbar über beide Tage im Innenhof des Klosters angebracht wurde.

Schon die Erwähnung von Geschlechtergleichheit sorgt in katholischen Verhältnissen für Turbulenzen, nur ist der Weg zur Gerechtigkeit weder einfach, noch konnten wir dem politischen Potential des BJT-Mottos wiederstehen.

Selbstverständlich brachten wir unsere feministische Kritik an den reaktionären Zuständen im Abschlussgottesdienst auch verbal ein.

Die Unterdrückung der Frau ist ein Angriff auf uns alle!

Für eine feministische Revolution in der katholischen Kirche!

Redebeitrag zum Friedensgebet in Ostritz (3. November 2018)

Vor dreitausend Jahren floh das Volk Israel vor der Unterdrückung aus Ägypten.

Heute fliehen Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien, unwürdigen Arbeitsbedingungen und Verfolgung, aufgrund ihrer Religion, ihrer politischen Haltung oder da sie durch das Raster totalitärer Systeme fallen.

Auf der ganzen Welt herrscht eine Phase der Angst und des Misstrauens, die Großmächte treiben Kriege weiter voran und auch Deutschland trägt durch unzählige Waffenexporte fatale Mitschuld.

Das Land ist gespalten, die extremen Pole verhärten sich und die Gesellschaft zerfällt. Diese Spaltung schlägt sich bis in unsere Regionen, unsere Städte und Bezirke nieder.

Im Januar 2015 standen die 3000 Beteiligten des ersten Legida-Aufmarsches dem zehnfachen an Menschen gegenüber. Der Gegenprotest von 30000 Menschen setze ein Zeichen gegen islamfeindliche, rassistische und reaktionäre Hetze. Trotzdem konnte das menschenfeindliche Gedankengut in einem Teil der Bevölkerung Fuß fassen.

Es folgten Jahre des antirassistischen Protestes von Menschen, die für eine pluralistische, tolerante und solidarische Gesellschaft stritten. Darunter zahlreiche Mitglieder der katholischen Dekanatsjugend Leipzig zusammen mit Verbündeten anderer Konfessionen.

Das Dekanat Leipzig organisierte internationale Fußballturniere mit Geflüchteten und Werkstatttage zum Thema Rassismus. Die Werkstadttage fanden an einem Wochenende im Schmiedeberger Winfriedhaus statt. Gemeinsam erarbeiteten wir Jugendlichen verschiedene Definitionen zu Formen von Rassismus sowie Methoden, um rassistische Gewalt zu erkennen und zu unterbinden.

Nach zwei Jahren des kläglichen Versuches, sich zu etablieren, gab Legida endlich das Ende ihres öffentlichen Daseins bekannt.

Doch der Kampf geht weiter, egal ob hier in Ostritz oder anderen Städten und Regionen in der Bundesrepublik. Keine Stadt ist für immer von menschenfeindlichen Ideologien aus jeglichen Lagern befreit. In einer Welt mit so viel Ungerechtigkeit können wir uns nicht zurücklehnen und warten, bis der Frieden vom Himmel fällt.

I           Die Kurden werden vom türkischen Staat unter Führung des faschistischen Machthabers Erdogan systematisch verfolgt und mit militärischer Gewalt unterdrückt, obwohl das Volk der Kurden nur ihre Unabhängigkeit fordert. Kurden sterben durch deutsche Waffen, die Deutschland an die Türkei liefert. Unter den Kurden leben auch Christen wie wir.

II          Die katholischen Kirche ist immer noch ein Patriachat. Frauen wird aufgrund ihres Geschlechtes der Beruf als Priester verwehrt, ihr Menschenrecht auf die freie Berufswahl wird mit Füßen getreten.

Die Unterdrückung der Frau ist ein Angriff auf uns alle.

III         Auch aufgrund der Sexualität werden auf der ganzen Welt Menschen verfolgt, diskriminiert und verstoßen. Noch nicht einmal in unserer Kirche können sie ihren Frieden finden, da Nicht-Heterosexuelle immer noch als „abnormal“ und „psychisch krank“ betrachtet werden. Das beginnt in der kleinen Gemeinde und zieht sich bis in den Vatikan.

IV         In Deutschland treiben 9 von 10 Frauen, die während der Schwangerschaft erfahren, dass ihr Kind eine Trisomie 21 hat, ab. Viele von Ihnen tun das nicht wegen der Behinderung des Kindes, sondern wegen der Behinderung durch die Gesellschaft. Menschen mit Behinderung sind auch heute nicht gesellschaftlich akzeptiert. Eltern müssen sich immer wieder für ihr Kind rechtfertigen und Behördenkämpfe ausfechten. Es fehlen Betreuungsmöglichkeiten und durch die daraus folgende Einschränkung der beruflichen Entfaltung -gerade als Mutter- ist die Gefahr hoch, dass Familien in eine finanzielle Notlage rutschen.

Wir müssen uns dafür einsetzen, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen und selbst entscheiden können, welche Schule sie besuchen, wo und mit wem sie zusammen leben und was sie arbeiten.

V          Wir erleben es, wie sich rechtsextreme Menschen in den letzten Jahren zunehmend in Kampfsportgruppen organisieren, sie bereiten sich auf den Kampf gegen all jene vor, die nicht in ihr Gesellschaftsbild passen. Es entstehen zahlreiche Kampfsport-Events wie die „Imperium Fighting Championship“ in Leipzig oder „Kampf der Nibelungen“ hier in Ostritz. Die Durchführung der Kämpfe wird immer professioneller und locken immer mehr Zuschauer an, zuletzt 700 interessierte Menschen in Ostritz. Eine Gruppe von gut trainierten Kampfspotlern mit einer stark ausgeprägten rechten Ideologie stellt ein enormes Sicherheitsproblem dar. Dies konnte man im Januar 2016 in Leipzig beobachten. Hier schloss sich nach einer Demonstration eine Gruppe von 200 überregional-organisierten Rechtsextremen zusammen und wütete im Leipziger Stadtteil Connewitz. Sie zerstörten viele Geschäfte und richteten einen hohen Sachschaden an. Die jüngsten Vorfälle in Chemnitz und Bautzen zeigten erneut, dass Neonazis vor menschenverachtenden Straftaten nicht zurückschrecken und eine enorme Gefahr für den friedlichen Rechtsstaat darstellen.

Frieden ohne Gerechtigkeit ist wertlos für uns.

Jeder von uns muss sich auch nur einem Problem auf dieser Erde annehmen, um irgendwann wirklichen Frieden zu erreichen. Wir haben nur diese eine Erde.

In dieser Zeit des Misstrauens muss der Glaube umso stärker sein. Glaube darf niemals neue Grenzen errichten, sondern muss die Zäune niederreißen, muss die Gedanken wieder frei machen, doch funktioniert das nicht allein. Wir müssen uns gemeinsam befreien mit allen Menschen dieser Erde.

Wir müssen uns denen Annehmen, die verstoßen, unterdrückt und vertrieben werden, wenn wir uns Christen nennen wollen.